
Ein nahezu magischer Ort mitten in Wiens Innenstadt – der Betchor in der Wiener Franziskanerkirche, verborgen hinter dem barocken Hochaltar des Andrea Pozzo. Hier steht die berühmte, aber weitgehend unbekannte älteste Orgel Wiens, die Wöckherl-Orgel aus dem Jahr 1642, so benannt nach ihrem Erbauer, dem Wiener Orgelbauer Johannes Wöckherl. Betritt man den Betchor und damit die Apsis der Kirche in ihrem Dämmerlicht, fällt sofort das mit feinsten Schnitzereien versehene Orgelgehäuse auf. Dieses optische Wunder mit seinen bemalten Flügeltüren war etwa 60 Jahre lang „eye catcher“ des damals neu erweiterten Kirchenraums bevor es zum Beginn des 18. Jh hinter dem gewaltigen Hochaltar verschwand und seit damals von keinem Punkt im Kirchenschiff mehr zu sehen ist. Sehr wohl ist die Orgel überall zu hören – besser freilich direkt im Betchor, wo Optik und Klang als Gesamtkunstwerk erlebt werden können.

Und sie hat freilich ihre Geschichte: immer schon genau in der Längsachse der Kirche hinter dem Altar positioniert, blieb das Instrument auch an dieser – für österreichische Kirchen eher ungewöhnlichen – Stelle mit Ausnahme des Zweiten Weltkriegs und der Jahre danach, als die Orgel zerlegt und an einen sicheren Ort verbracht war. Im Zuge der Wiederaufstellung 1950 geschahen einige stilwidrige Veränderungen wie etwa die Erweiterung des Tonumfangs im Bassbereich oder Änderungen in der Disposition. Die Orgel wurde selten gespielt und ab 1990 allmählich unspielbar. Über die notwendige Restaurierung wurde jahrelang nachgedacht, bis das Konzept der Schweizer Orgelbaufirma Kuhn, wie das Instrument in seinen Originalzustand zurückzuführen wäre, in einen Auftrag mündete. 2011 waren die Arbeiten abgeschlossen, und die älteste Orgel Wiens präsentierte sich wieder im originalen Zustand mit etwa 90% des originalen Pfeifenmaterials!
Im Brustwerk und Pedal mussten je ein Zungenregister nach historischem Vorbild der monumentalen Orgel in Klosterneuburg (ebenfalls ex 1642) nachgebaut werden. Ferner wurde der originale Tonumfang mit kurzer Bassoktav in den Manualen und im Pedal wiederhergestellt.

Die Wöckherl-Orgel hat 20 Register, aufgeteilt auf zwei Manuale und Pedal, einen Tremulanten für alle Werke sowie eine Manualkoppel. Der Tonumfang mit kurzer Bassoktav beträgt 45 Tasten im Hauptwerk und 48 im Brustwerk, für das zusätzlich 3 Semitonien als geteilte Obertasten rekonstruiert wurden, und zwar: gis°/as°, dis´/es´, gis´/as´. Das Pedal, ebenfalls mit kurzer Bassoktav hat 19 Tasten. Drei Keilbälge für die Windversorgung werden entweder durch einen Gebläsemotor oder drei Tritte durch eine/n Kalkanten/in befüllt.
Winddruck: 62mm WS
Stimmung: 457Hz/13°C
Temperatur: mitteltönig, 1/4 Komma
Seit der feierlicher Weihe im Frühjahr 2011 wird die Orgel regelmäßig gespielt bei Hochämtern, Konzerten und den freitäglichen sowie speziellen Präsentationen. [Text: Peter Sterzinger]